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ERNST STADLER
DER AUFBRUCH
GEDICHTE
1 9 s o
KURT WOLFF VERLAG/MONGHEN
Zweite Auflage
Copyright 1914 by Verlag der Weißen Bücher Leipzig-
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I
ür Ren6 und Lannatsch Schickele
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DIE FLUCHT
Worte
Man hatte uns Worte vorgesprochen, die von nackter Schönheit und Ahnung
und zitterndem Verlangen übergiengen.
Wir nahmen sie, behutsam wie fremdländische Blumen, die wir in unsrer
Knabenheimlichkeit aufhiengen.
Sie versprachen Sturm und Abenteuer, Oberschwang und Gefahren und
todgeweihte Schwüre —
Tag um Tag standen wir und warteten, da& ihr Abenteuer uns mitführe.
Aber Wochen liefen kahl und spurlos, und nichts wollte sich meiden^
unsre Leere fortzutragen«
Und langsam begannen die bunttti Worte zu entblättern. Wir lernten sie
ohne Herzklopf«! sagen«
Und die noch farbig waren, hatten sich von Alltag und allem Erdwohnen
gesdiieden:
Sie lebten irgendwo veirzaubert auf paradiesischen Inseln in einrai märchen«
blauen Frieden.
Wir wußten: sie waren unerreichbar wie die weißen Wolken, die sich
über unserm Knabenhimmel vereinten.
Aber an manchen Abenden geschah es, daß wir heimlich und sehnsüchtig
ihrer verhallenden Musik nachweinten.
11
Der Spruch
In einem alten Buche stieß ich auf ein Wort,
Das traf mich wie ein Schlag und brennt durch meine Tage fort:
Und wenn ich mich an trübe Lust vergebe,
Schein, Lug und Spiel zu mir anstatt des Wesens hebe,
Wenn ich gefällig mich mit raschem Sinn belüge.
Als wäre Dunkles klar, als wenn nicht Leben tausend wild Yerschlossne
Tore trüge.
Und Worte wiederspreche, deren Weite nie ich ausgefühlt.
Und Dinge fasse, deren Sein mich niemals aufgewühlt.
Wenn mich wiUkommner Traum mit Sammetfaänden streicht.
Und Tag und Wirklichkeit von mir entweicht.
Der Welt entfremdet, frraid dem tiefsten Ich,
Dann steht das Wort mir auf: Mensch, werde wesentlich!
12
Tage
L
Klangen Frauenschritte hinter Häuserbogen,
Folgtest du durch Gaasen hingetogen
Feilen Blicken und geschminkten Wangen nach.
Hörtest in den Lüften Engelschöre musizieren.
Spürtest Glück, dich lu zerstören, zu verlieren.
Branntest dunkel nadi Erniedrigung und Schmach.
is du dich an Eklem Tollgetrunken,
Vor dem ausgebrannten Körper hingesunkoi.
Dein Gesicht dem eingeschrumpften Schoß yerwühlt —
Fühltest, wie aus Sdunach dir Glück geschihe
Und des Gottes tausendfache Nfthe
Didt in HimmeUreiaheit höbe, niegefOhlt
IS
a^^^a^^ua
^ GeldbniB der Sünde t All' ihr auferlegten Pilgerfahrten in entehrte Betten I
Stationen der Erniedrigung und der Begierde an yerdammten Stätten!
Obdach beschmutzter Kammern, Herd in der Stube, wo die Speisereste
yerderben,
Und die qualmende Öllampe, und über der wackligen Kommode der Spiegel
in Scherben!
Ihr zertretnen Leiber 1 du Lftcheki, krampfhaft in gemalte Lippen ein*«
geschnitten!
Armes, ungepflegtes Haar! ihr Worte, denen Leben längst entglitten —
Seid ihr wieder um mich, hör' idi euch meinen Namen nennen?
Fühl' ich aus Scham imd Angst wieder den einen Drang nur mich «er*
brennen:
Sicherheit der Frommen, Würde der Gerechten anzuspeien,
Trübem, Ungewissem, schon Verlornem mich zu schenken, midi zu weihoi,
Selig singend Schmach und Dumpfheit der Geschlagenen zu fühlen,
^ 1 Mich ins Mark des Lebens wie in Gruben Erde einzuwühlen«
14
m.
Ich stammle irre Beichte über deinem Schofi:
Madonna, mach' mich meiner Qualen los.
Du« deren Weh die Liebe nie verließ.
In deren Leib man sieben Schwerter stieß.
Die Iftchelnd man sur Marterbank geserrt ^
O sieh, noch bin ich ganz nicht aufgesperrt,
Mbcfa fühl' ich, wie mir Haß zur Kehle steigt,
Und vielem bin ich fern und ungeneigt
laß die Härte, die mich engt, zergehn.
Nur Tor mich sein, durch das die Bilder gehn,
Nur Spiegel, der die tausend Dinge trägt,
Allseiend, wie dein Atemzug sich über Welten regt
16
IV.
Dann brenn' ich nächtelang, mich in kaiteien.
Und spüre Stoek und Geißel über meinen Leib geschwenkt:
Ich will mich gans Ton meinem Selbst bebeien,
Bis ich an alle Welt mich ausgeschenkt
Ich will den Körper so mit Schmerzöl n&hren.
Bis Weltenleid mich stemengleich umkreist —
St%"
In Blut und Marter aufgepeitschter Schwären
^ Erfüllt sich Liebe und erlöst sidi Geist
16
Gegen Morgen
Tag will heraiif • Nacht wehrt nicht mehr dem Licht '" ^
Morgenwinde, die den Geist in ungestüme Heere treiben I
Schon brechen Yorstadtbahnen fauchend in den Garten
Der Frühe^ Bald sind Straßen, Brücken wieder Ton Gewühl und Lärm
versperrt —
jetzt ins Stille flüchten t Eng im Zug der Weiber, der sich übern Treppen-
gang zur Messe zerrt.
In Kirchenwinkel knien! 0, olles von sich tun, und nur in Demut auf das
Wunder der Verheißung warten!
Nacht der Kathedralen! Inbrunst eingelernter Kinderworte !
Gestammel unverstandner Litanein, indes die Seelen in die Sanftmut alter
Heiligenbilder schauen . . .
Engelsgruß der Gnade . . . ungekannt im Qior der Gläubigen stehn und
harren, daß die Pforte
Au&pringe, und ein Schein uns kröne wie vom Haar von unsrer lieben
Frauen.
2 Stadler, Aufbruch 17
Metamorphosen
vy
Erst war grenzenloser Durst, ausholend GlOelci schamvolles Sichbeschauen«
Abends in der Jungenstube, wenn die Lampe ausgieng, Zärtlichkeiten über-
schwänglich hingeströmt an traumerschaffne Frauen,
Verzückte Worte ins Leere gesprochen und im Blut der irre Brand —
Bis man sich eines Nachts in einem schalen Zimmer wiederfand.
Stöhnend, dmnpf, und seine Sehnsucht über einen trüben, eingesunknen
Körper leerte.
Sich auf die Zähne biß und wußte: dieses sei das Leben, don man sich
bekehrte.
Ein ganzer bkmdYerklärter Knabenhimmel stand in Flammen —
Damals stürzte Göttliches zusammen ...
Aber Seele hüllte gütig enge Kammer, welken Leib und Scham und Ekel ein,
Und niemals wieder war Liebe so sanft, demütig und rein.
So voller Musik wid da . . .
Dann sind Jahre hingegangen und haben ihren Zoll gezahlt
Aus ihrem Fluß manch' eine Lid>esstunde wie eine Mondwelle au&trahlt.
Aber Wunder wich zurück, wie schöne hohe Kirdien Sommers vor der
Dänunerung in die Schatten weichen.
Eine Goldspur wehte übern Abendhimmel hin : nichts konnte sie erreichen.
Seele blieb verlassen, Sehnsucht kam mit leeren Armen heim, so oft ich
sie hinausgeschickt.
Wenn ich im Dunkel nach Erfüllung rang, in Hauch und Haar geliebter
Frau'n verstrickt
Denn immer griffen meine Hände nach dem fernen bunten Ding,
18
i
Das einmal Ober meinem Knabenbimmel bieng.
Und inmier rief mein Kiel nacb Sturm — docb jeder Sturm bat micb
ans Land gescbwemmt,
Sterne bracben, und die Flut zerfiel, in Scblick und Sand verschlammt . . .
Daran mußt' icb beute denken, und es fiel mir ein.
Daß alles das umsonst, und daß es anders müsse sein.
Und daß vielleicbt die Liebe nicbts als scbweigen.
Mit einer Frau am Meeresufer stebn und durcb die Dünen boreben, wie
von fem die Wasser steigen.
19
Betörung
/
Nun bist du, Seele, wieder deinem Traum
Und deiner Sehnsucht selig hingegeben.
In holdem Feuer glühend fühlst du kaum.
Daß Schatten alle Bilder sind, die um dich leben.
Denn nftchtelang war deine Kammer leer.
Nun grüßen dich, wie über Nacht die Zeichen
Des jungen Frühlings durch die Fenster her.
Die neuen Schauer, die durch deine Seele streichen.
' Und weißt doch: niemals wird Erfüllung sein
Den Schwadien, die ihr Blut dem Traum verpfftnden,
Und höhnend schlägt das Schicksal Krug und Wein
] Den «wig Dflntenden aus hochgehobneo Händen.
20
««
t I
Trübe Stunde
Im sinkenden Abend, wenn die Fischer in den Meerhäfen ihre Kähne rüsten«
In der austreibenden Flut, die braunen Masten zitternd vor dem Wind —
Seele, wir&t du zitternd dich ins Segel, gierig nach entlegnen Küsten,
Dahin die Wunder deiner Nächte dir entglitten sind?
»/ /
Oder bist du %o wehrlos deiner Sterne Zwang verfallen.
Daß dich ein irrer Wille nur ins Feme, Uferlose drängt —
Auf wilden Wassern schweifend, wenn die Stürme sich in deines Schiffes
Rippen krallen
Und Nacht und Wolke endlos graues Meer und grauen Himmel mengt?
Und wütest du im Dunkel gegen dein Geliebtes und erwachst mit strömend
tiefen Wunden,
Das Auge matt, dein Blut yerbrannt und deiner Sehnsucht Schwingen leer,
Und siehst, mit stierem Blick, und unbewegt an deines Schicksals Mast
gebunden
Den Morgen glanzlos schauem überm Meer?
21
Was waren Frauen
Was waren Frauen anders dir als Spiel,
Der du dich bettetest in soviel Liebesstunden :
Du hast nie andres als ein Stück von dir gefunden,
Und niemals fand dein Suchen sich das Ziel.
V
Du strebtest, dich im HeUtti zu befreien,
Und wolltest untergeh'n in wolkig trüber Flut —
Und lagst nur hilflos angeschmiedet in den Reihen
Der Schmachtendtti« gekettet an dein Blut
Du stiegst, dein Leben höher aufzutürmen.
In fremde Sedoi, wenn dich eigne Kraft verliefi.
Und sahst erschauernd deinen Dämon dich umstürmen,
"^ Wenn deinen dünnen Traum der Tag durchstieß.
22
Reinigung
Lösche alle deine Tag' und N&dite ausi
Räume alle fremden Bflder fort aus deinem Hausl "^ ^
Laß Regendunkel über deine Schollen niedergehnl
Lausche: dein Blut will klingend in dir auferstehnl —
Fühlst du: schon schwemmt die starke Flut dich neu und rein,
Schon bist du sdig in dir selbst allein
Und wie mit Auferstehungslicht umhangen —
Hörst du: sdbon ist die Erde um dich leer und weit
Und deine Seele atemlose Trunkenheit,
Die Morgenstimme deines Gottes zu umfangen.
, /, > \ i
23
Ende
Nur eines noch: viel Stille um sich her wie weiche Decken schlagen.
Irgendwo im Alltag versinken, in Gewöhnlichkeit, seine Sehnsucht in die
Enge bürgerlicher Stuben tragen.
Hingebückt, ins Dunkel gekniet, nicht anders sein wollen, geschränkt und
gestillt, von Tag und Nacht überblüht, heimgekehrt von Reisen
Ins Metaphysische — Licht sanfter Augen über sich, weit, tief ins Herz
geglänzt, den Rest von irrem Himmelsdurst zu speisen —
Kühlung Wehendes, Musik vieler gewöhnlicher Stimmen, die sich so wie
Wurzeln stiller Birken stark ins Blut dir schlagen.
Vorbei die umtaumelten Fanfaren, die in Abenteuer und Ermattung tragen,
Morgens erwachen, seine Arbeit wissen, sein Tagewerk« festbezirkt, stumm
aller Lockung, erblindet allem, was berauscht und trunken macht,
«
Keine Ausflüge mehr ins Wolkige, nur im Nächsten noch sich finden, ein-
fach wie ein Kind, das weint und lacht»
Aus seinen Träumen fliehen. Helle auf sich richten, jedem Kleinsten sich
verweben.
Aufgefrischt wie vom Bad, ins Ld>en eingeblüht, dunkel dem großen
Dasein hingegeben.
24
Zwiegespräch
Mein Gott, ich suche dich. Sieh mich vor deiner Schwelle knien
Und Einlaß betteln. Sieh, ich bin yerirrt, mich reißen tausend Wege fort
ins Blinde,
Und keiner trägt mich heim. Laß mich in deiner Gärten Obdach fliehn.
Daß sich in ihrer Blittagsstille mein versprengtes Leben wiederfinde.
Ich bin nur stets den bunten Lichtem nachgerannt.
Nach Wundem gierend, bis mir Leben, Wunsch und Ziel in Nacht ver^
schwanden.
Nun graut der Tag. Nun fragt mein Hers in seiner Taten Kerker ein-^
gespannt
Voll Angst den Sinn der wirren und verbrausten Stunden.
Und keine Antwort konmit Ich fühle, was mein Bord an letzten Frachten
trägt.
In Wetterstürmen ziellos durch die Meere schwanken.
Und das im Morgen kühn und fahrtenfroh sich wiegte, meines Lebena
Schiff zerschlägt
An dem Magnetberg eines irren Schicksals seine Planken. — *
Still, Seele I Kennst du deine eigne Heimat nicht?
Sieh doch: du bist in dir. Das ungewisse Licht,
Das dich verwirrte, war die ewige Lampe, die vor deines Lebens Altar brennt
Was zitterst du im Dunkel? Bist du sdber nicht das Instrument,
Darin der Aufruhr aller Töne sich zu hochzeitlichem Reigen schlingt?
Hörst du die Kinderstimme nicht, die aus der Tiefe leise dir entgegensingt?
Fühlst nicht das reine Auge, das sich über deiner Nächte wildste beugt —
Brunnen, der aus gleichen Eutern trüb und klare Quellen säugt,
25
Windrose deines Schicksals, Sturm, Gewittemadit und sanftes Meer,
Dir selber alles: Fegefeuer, Hinunelfahrt und ewige Wiederkehr —
Sieh doch, dein letzter Wunsch, nach dem dein Leben heiße Hände auf-
gereckt,
Stand schimmernd schon am Himmel deiner frühsten Sehnsucht aufgesteckt
Dein Schmers und deine Lust lag immer schon in dir verschlossen wie in
einem Schrein,
Und nichts, was jemals war und wird, das nicht schon immer dein.
\
26
Vorfrühling
In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenxgeruch und grünon Saatregen.
Winde schlugen an. Durdi die verstörte Häusersenkung ging ich weit
hmaus
Bis zu dem unbedeckten Wall und spürte: meinem Herzen schwoll ein
neuer Takt entgegen.
In jedeni Luftfaauch war ein junges Werden ausgespannt
Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute rdlten.
Schon ddmta sich bereitet Acker. In den Horizonten eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins Weite führen sollten.
Die Sdileusen knirschten. Abenteuer brach aus allen Femen.
Überm Kanal, den junge Aiisfahrtwinde wdlten, wuchsen hell« Bahnen,
In deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.
In meinem Herzen lag ein Stürmen wie yon aufgerollten Fahnen.
/
j»
/
27
Resurrectio
Flut, die in Nebeln steigt Flut, die yersinkt
Glück : das große Wasser, das mein Leben überschwemmte, sinkt, ertrinkt
Schon wollen Hügel vor. Schon bricht gesänftigt aus geklärten Strudeln
Fels und Land.
Bald wehen Birkenwimpel über windgesträhltem Strand.
langes Dunkel. Stumme Fahrten zwischen Wolke, Nacht und Meer.
Nun wird die Erde neu. Nun gibt der Himmel aller Formen zarten Umriß her.
Herzlichl vcm Sonne, das sich noch auf gelben Wellen bäumt —
Bald kommt die Stunde, wo dein Gold in grünen Frühlingsmulden
schäumt — -
Schon tanzt im Feuerbogen, d^a der Morgen übern Himmel schlägt.
Die Taube, die im Mund das Olblatt der Verheißung trägt
28
Sommer
Mein Hen steht bis lum Hab in gelbem Emtelicht wie unter Sommer-
himmeln scfanittbereites Land.
Bald läutet durch die Ebenen Sichelsang: mein Blut lauscht tief mit Glück
gesättigt in den Blittagsbrand.
Kornkammern meines Lebens, lang verödet, alle eure Tore sollen nun wie
Schleusenflügel offen stehn.
Ober euem Grund wird wie Meer die goldne Flut der Garben gehn.
29
Form ist Wollust
Form mid Riegel mußten erst terspringen«
Welt durch aufgeschlossne Röhren dringen:
Form iflt Wollust« Friede, himmlisches Genügen,
Doch mich reißt es, Ackerschollen imizupflügen.
Form will mich verschnüren und verengen«
Doch ich will mein Sein in alle Weiten drängen —
Form ist klare Hfirte ohn' Erbarmen,
Üodi mich treibt es zu den Dumpfen, zu den Armen,
Und in grenzenlosem Michverschenken
Will mich Leben mit Erfüllung tränken.
30
Der Aufbruch
Einmal schon haben Fanfaren mein migeduldiges Herz blutig gerissen,
Daß es, aufsteigend wie ein Pferd, sich wütend ins Gezäum verbissen.
Damals schlug Tambourmarsch den Sturm auf allen Wegen,
Und herrlichste Musik der Erde hieß uns Kugelregen.
Dann, plötzlich, stand Ld^en stille. Wege führten zwischrai alten Bäumen.
Gemächer lockten. Es war süß, zu weilen und sich versäumen.
Von Wirklichkeit den Leib so wie von staubiger Rüstung zu entketten,
Wollüstig sich in Daunen weicher Traumstunden einzubetten. \/-^-
Aber eines Morgens rollte durch Nebelluft das Echo von Signalen,
Hart, scharf, wie Schwerthieb pfeifend. Es war wie wenn im Dunkel
plötzlich Lichter aufstrahlen.
Es war wie wenn durch Biwakfrühe Trompetenstöße klirren,
Die Schlafenden au&pringen und die Zelte abschlagen und die Pferde
schirren.
Ich war in Reihen eingeschient, die in den Morgen stießen, Feuer über
Helm und Bügel,
Vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht, mit vorgehaltn^oi Zügel.
Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche umstreichen.
Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter Leichen.
-Aber vor dem Erraffen und vor dem Versinken
Würden nnsre Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend trinken.
31
STATIONEN
Lover^s Seat
Im Abend sind wir steile grünbebuschte Dünenwege hingeschritten.
Du ruhst an mich gedrängt Die Kreideklippe schwingt ihr schimmerndes
Gefieder über tiefem Meere.
Hier, wo der Fels in jäher Todesgier ins Leere
Hinüberlehnt, sind einst zwei Liebende ins weiche blaue Bett geglitten.
Fem tönt die Brandung. Zwischen Küssen lausch ich der Legende,
Die lachend mir dein Mund in den erglühten Sonmierabend spricht
Doch tief mich beugend seh' ich wie im Glück erstarren dein Gesicht
Und dumpf e Schwermut hinter deinen Wimpern warten und das nahe Ende.
'1
35
Fülle des Lebens
Dein Stern erglänzt in Auferstehungsfrühen,
Dein Schicksal treibt, als Opfer sich zu spenden,
Durstige Flamme, kühn, sich zu verschwenden.
Wie Laubgerinnsel, die im Herbstwald sich verglühen.
In Femen sind die Hölzer schon geschichtet.
Den Leib zu neuer Weihe zu empfangen —
\^t Und schwellend ist, um das die Wimpel deiner Träume hangen.
Das Brautbett deiner letzten Sehnsucht aufgerichtet
36
ernen
In Schmerzen heilig allem Leid Gefeite,
Da immer schwächer dir die hellen Stimmen klangen
Des Tages, stmnm dein Schicksal dich und hart den Scharen weihte
Der Hungernden, die über öde Fluren wimde Sehnsuchtsfinger falten —
Ist nun dein Leben Zwiesprach mit rerwunschn^a Dingen,
Sturm, Geist und Dunkel deiner Seele nahe und geliebt?
Ich fühle deinen Leib den Händen, die ihn klammem, sich entringen
In Länder, deren Erde dürr wie Zunder meinem Tritt entstiebt
Nun denkt mir's durch die brennenden versehnten
Traumaugen deiner Frohsinnsstunden, die wie kaum erst flügge Vögel nur ^^
Schüchterne Flügel schlagend überm schwanken Bord des Lebens lehnten.
Und mich beströmt wie Herzblut deiner Marter alle Qual der Kreatur.
37
Entsühnung
V v'
Ich stand in Nacht Ich rang versteinert. Fand in Wüsten irrend deine
Seele nicht
Die Wege lagen endlos mir verschüttet, die zu deiner Schwelle liefen.
Ich war ganz fem. Du sprachst zu mir. Ich stand mit abgewandtem Herzen
und Gesicht
Wie Sterbeglocken rauschten mir die Worte, die mich zu dir riefen.
Ich lauschte dumpf der Stimme. Wie erstarrt Sie kam
Aus Femen: still; demütig, aber fest; nachtwandelnd und im Glänze ihres
Schicksals, und sie drang in meinen Traum.
Da war's, daß in mein Herz das Wunder brach. Ich wachte auf. In jäher
Scham
Sah ich mich selbst Sah deine Seele, wie sie stumm, mit schweren Lidern,
vor mir stand.
Nackend. Sah ihre lange Qual, und wie sie durch die vielen, vielen Nächte
Mich so gesucht, die Augen still in mich gekehrt, und mich doch nimmer
fand.
Indes ich blind in wilden Zonen irrte
Und meines Herzens Heimwehruf verbannte.
Sah, wie ihr reiner Spiegel sich mit Dunkel wirrte,
Und jäh gereckt die Gier, wie sich selbst zum Opfer brächte,
Grausam, im eignen Blut die Qualen löschend, und mit WA ihr Weh
ertöte.
Im Opfer ihres Leibes. Und ich sah dich bleich, mit nackten Füßen auf
dem Büßerberg und über deiner Brust die Röte
Der Wunden, die ich dir geschlagen. Sah dich matt und bloß
38
Und schwach. Doch über Nacht und Leid
Strahlte dein heiliges Herz. Ich sah den Glorienschein, der jählings über
deinem Scheitel brannte
Und mich begoß. Oh, immer will ich stehn mid schauen, schauen
Und warten, du Geliebte, daß dein Antlitz mir ein Lächeln schenke.
Ich weiß, ich hab an dir gesündigt Sieh, ich wiU dein Kleid
Bloß fassen» so wie Mütter tun mit kranken Kindern vor dem Bild der
lieben Frauen — - ,
Nur lächle wieder, du, in deren Schoß
Ich wie in klares Wasser meines Lebens dunkles Opfer senke.
39
In Dir
Du wolltest dir entfUehiii an Fremdes dich fortschenken,
Vergangenheit auslöschen, neue Ströme in dich lenken —
Und fandest tiefer in dich selbst xurück.
Befleckung glitt von dir und ward zu Glück.
Nun fühlst du Schicksal deinem Herzen dienen.
Ganz nah bei dir, leidend von allen treuen Sternen überschienen.
40
Gang in der Nacht
Die Alleen der Lichter, die der Fluß ins Dunkel schwemmt, sind schon
erblindet
In den streifenden Nebeln. Bald sind die Staden eingedeckt Schon findet
Kein Laut den Weg mehr aus dem trägen Sumpf, der alles Feste in sich
schluckt
Die Stille lastet Manchmal bläst ein Wind die Gaslatemen auf. Dann suckt
Ober die untern Fensterreihen eine Welle dünnen Lichts und schießt
zurück. Im Schreiten
Springen die Häuser aus dem Schatten vor wie Rümpfe wilder Schiffe
auf entferntem Meer und gleiten
Wieder in Nacht diese Straße, die ich so viel Monde nicht gegangen .—-
Nun streckt Erinnerung hundert Schmeichlerarme aus, mich einzufangen.
Legt sich zu mir, ganz still, nur schattenhaft, nur wie die letzte Welle
Dufts von Schlehdomsträuchem abgeweht.
Nur wie ein Spalt von Licht, davon doch meine Seele wie ein Frühlings-«
beet in Blüten steht —
Ich schreite wie durch Gärten. Bin auf einem großen Platz. Nebel hängt
dünn und flimmemd wie durch Silbemetz gesiebt —
Und plötzlich weiß ich: hinter diesen Fenstern dort schläft eine Frau, -
die mich einmal geliebt.
Und die ich liebte. Hüllen fallen. Eine Spannung bricht Ich steh' bestrahlt,
besternt in einem güldnen Regen,
Alle meine Gedanken laufen wie verklärt durdis Dunkel einer magisch
tonenden Musik entgegen.
41
Winteranfang
Die Platanen sind schon entlaubt Nebel fließen. Wenn die Sonne einmal
durch den Panzer grauer Wolken sticht,
Spiegeln ihr die tausend Pfützen ein gebleichtes runzliges Gesicht.
Alle Geräusche sind schärfer. Den ganzen Tag über hört man in den
Fabriken die Maschinen gehn —
So tönt durch die Ebenen der langen Stunden mein Herz und mag nicht
stille stehn
Und treibt die Gedanken wie surrende Räder hin und her,
Und ist wie eine Mühle mit windgedrehten Flügeln, aber ihre Kammenor
sind leer:
Sie redet irre Worte in den Abend und schlägt das Kreuz. Schon schlafen
die Winde ein. Bald wird es schnei'n.
Dann fäll} wie Stemenregen weißer Friede aus den Wolken und wickelt
alles ein.
42
In der Frühe
Die Silhouette deiaes Leibs steht in der Frühe dunkel vor dem trüben Licht
Der zugehangnen Jalousien. Ich fühl, im Betie liegend, hostiengleich mir
zugewendet dein Gesicht
Da du aus meinen Armen dich gelöst, hat dein geflüstert , Jch muß fort"
nur an die fernsten Tore meines Traums gereicht —
Nun seh ich, wie durch Schleier, deine Hand, wie sie mit leichtem Griff
das weiße Hemd die Brüste niederstreicht . . .
Die Strümpfe . . . nun den Rock . . . das Haar gerafft . . . schon bist du
fremd, für Tag und Welt geschmückt •••
Ich öffne leis die Türe . . . küsse dich ... du nickst, schon fem, ein Lebe-»
wohl . . . und bist entrückt
Ich höre, schon im Bette wieder, wie dein sachter Schritt im Treppenhaus
verklingt.
Bin wieder im Gerüche deines Körpers eingesperrt, der aus den Kissen^
strömend warm in meine Sinne dringt
Morgen wird heller. Vorhang bläht sich. Junger Wind und erste Sonne
will herein.
Lärmen quillt auf . . . Musik der Frühe . . . sanft in Morgenträume ein-»
gesungen schlaf ich ein.
Vw
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43
V l
Kleine Schauspielerin
War man glücklich eingestaubten B&nken,
Lehrer<|uengeln und den Zeichen an der Taf el« die man nicht rerstand,
entzogen,
Abends im Theater, auf die Brüstung hingebogen.
Fühlte man sich Himmel köstlich niedersenken.
Nur im Spiele wollte Glück sich geben,
Wo sich Traum ein ungeheures Sein erfand.
Und den Händen, die xum ersten Mal nach Leben
Griffen, rollte Wirklichkeit dahin wie loser Sand.
Aber wenn du vor den Bühnenlichtem schrittest,
Lächeltest und eingelernte Worte spradist, war Wunder aufgehellt,
Mit Musik und Beifall und geputzter Menge glittest
Du ins Herz, warst Weib und Ruhm und Welt
Herrlich lag beisammen, was sich dann zerstückte,
Li beseelte Stummheit waren tausend Liebesworte eingedrängt,
Wemi man abends scheu und heiß an deinen Fenstern sich vorüberdrückte.
War Erfüllung schimmernd wie ein Rosenregen angesprengt
44
Glück
Nun sind vor meines Glückes Stinune alle Sehnsuchtsvögel weggeflogen«
Ich schaue still den Wolken lu, die über meinem Fenster in die Bl&ue
jagen —
Sie locken nicht mehr, mich zu fernen Küsten fortzutragen.
Wie einst, da Sterne, Wind und Sonne wehrlos mich ins Weite zogen.
In deine Liebe bin ich wie in einen Mantel eingeschlagen.
Ich fühle deines Herzens Schlag, der über meinem Herzen zuckt
Ich steige selig in die Kammer meines Glückes nieder.
Ganz tief in mir, so wie ein Vogel, der ins flaumige Gefieder
Zu sommerdunklem Traum das Köpfchen niederduckt
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46
In diesen Nächten
In diesen Nächten friert mein Blut nach deinem Leib, Creliebte.
0, meine Sehnsucht ist wie dunkles Wasser aufgestaut vor Schleußentoreu,
In Mittagsstille hingelagert, reglos lauernd,
Begierig, auszubrechen. Sommersturm,
Der schwer im Hinterhalt geladner Wolken hält Wann kommst du, Blits,
Der ihn entfacht, mit Lust befrachtet, Fähre,
Die weit der Wehre starre Schenkel von sich sperrt? Ich will
Dich zu mir in die Kissen tragen so wie Garben jungen Klees
In aufgelockert Land. Ich bin der Gärtner,
Der weich dich niederbettet. Wolke, die
Dich übersprengt, und Luft, die dich umschließt
In deine Erde will ich meine irre Glut vergraben und
Sehnsüchtig blühend über deinem Leibe auferstehn.
46
DIE SPIEGEL
Der Flüchtling
Da sich mein Leib in jener Gärten 2^ubergrund verirrte,
Wo blauer Schierling zwischen Stauden dunkler Tollkirschblüten stand.
Was hilft es, daß ein später Tagesschein den Knäuel bunter Fieberträume
mir entwirrte
Und durch das Frösteln grauer Morgendämmerungen sich mein Fuß den
Ausweg fand?
c \
^y
Von jener Nächte frevelvollen Seligkeiten
Gärt noch mein Blut so wie mit fremdem Fiebersaft beschwert.
Und aus dem Schwall der Stunden, die wie hingejagte Wolken mir ent-*
gleiten.
Bleibt tief mein Traiun wie über blaue Heimatseen in sich selbst gekehrt. y/i^-
Um meines Lebens ungewisse Schalen neigen
Und drängen sich die Bilder, die aus Urwaldskelchen aufgeflogen sind,
Und meine Wünsche wollen, wilde Vogelschwärme, in die Tannenwipfel
steigen.
Und meine Seele schreit, wehrlose Wetterharfe unterm Wind.
4 Stadler, Aufbrach 49
Segnung
Die Hütte lehnt am braunen Rebenhügel,
Von der die Stunden oft ins weite Land geschaut.
Daraus sie eines Tags, auf farbiger Dämmerung Flügel,
Hintrat ins Volk, mit Grün geschmückt wie eine Braut
Durch ihre Augen irrten blanke Sterne,
Um ihre Kinderwangen Feuer sprang.
Die Stimme bebte, da ihr Wort zum Volke drang:
„Mich ruft ein hoher Wille in die große Ferne.
Fragt nicht noch sorgt euch, was mir Schicksal werde.
Der hält mein Leben, der mir diese Sehnsucht schuf —
Aus stiller Hut reißt mich ein ungeheurer Ruf
Li allen Sturm und Seligkeit der Erde."
Sie hörte kaum, wie Greise schwach sich mühten.
Sie gieng. Im' Abend leuchtete wie Weizen gelb ihr Haar.
Vor ihrem Fenster die HoUunderblüten
Erglommen und verwehten einsam Jahr um Jahr.
Doch eines Morgens, da die späten Sterne blichen
Und banges Zwielicht eisig in den Zweigen hieng.
Da sah ein Weib, das Wasser schöpfen gieng.
Wie sie sich fremd und fröstelnd in die Tür geschlichen.
Und seit dem Tage schwebt auf ihren Wegen
Ein Glorienschein, der Gau und Volk erhellt.
Und ihre Stimme hat den großen Segen
Der Liebenden, die Gott zu Mittlem hat bestellt
50
Parzival vor der Gralsburg
Da ihm die erznen Flügel dröhnend vor die Füße klirrten,
Femhin der Gral entwich und Brodem feuchter Herbstnachtwälder aus
dem Dunkel sprang.
Sein Mund in Scham und Schmerz verirrt, indessen die Septemberwinde
ihn umschwirrten,
Mit Kindesstanuneln jenes Traums entrückte Gegenwart umrang,
Da sprach zu ihm die Stimme: Törichter, schweige I
Was sucht dein Hadern Gott? Noch bist du unversühnt imd fem vom
Ziele deiner Fahrt —
Wirf deine Sehnsucht in die Weltl Dein warten Städte, Menschen, Meere:
Geh und neige
Dich deinem Gotte, der dich gütig neuen Nöten aufbewahrt
Aufl FortI Hinaus I Ins Weite I Lebe, diene, dulde I
Noch ist dein Tiefstes stunun — brich Furchen in den Fels mit härtrer
Schmerzen Stahl!
Dem Ungeprüften schweigt der Gottl Wie Blut und Schicksal dimkel dich
verschulde.
Dich glüht dein Irrtum rein, und erst den Schmerzgekrönten grüßt der
heilige Gral.
51
Die Befreiung
Da seine Gnade mir die Binde von den Augen schloß.
Troff Licht wie Regen brennend. Land lag da und blühte.
Ich schritt so wie im Tanz. Und was davor mich wie mit Knebeln mühte,
Fiel ab und war von mir getan. Mich überfloß
Das Gnadenwunder, unaufhörlich quellend — so wie junger Wein
Im Herbst, wenn sie auf allen goldnen Hügeln keltern.
Und rings die Hänge nieder Saft au&pritzt und flammt in den Behältern,
Flammte vor mir die Welt und ward nun ganz erst mein
Und meines Odems Odem. Jedes Ding war neu und gieng
In tiefer Herzenswallung mir entgegen, sich zu schenken, so wie am Altar,
Des Opfers freudig, ganz in Glück gekleidet Und in jedem war
Der Gott Und keines war, darauf nicht seine Güte so wie Hauch um reife
Früchte hieng.
Mir aber brach die Liebe alle Türen auf, die Hochmut mir gesperrt:
In Not Gescharte, Bettler, Säufer, Dirnen und Verbannte
Wurden mein lieb Geschwister. Meine Demut kniete vor dem Licht, das
fern in ihren Augen brannte.
Und ihre rauhen Stimmen schlössen sich zum himmlischen Konzert
Ich selbst war dunkel ihrem Leid und ihrer Lust vermengt — Welle im
Chor
Auffahrender Choräle. Meine Seele war die kleine Glocke, die im Dorf-
kirchhimmel der Gebete hieng
Und selig läutend in dem Oberschwang der Stimmen sich verlor
Und ausgeschüttet in dem Tausendfachen untergieng.
52
Bahnhöfe
Wenn in den Gewölben abendlich die blauen Kugelschalen
Aufdämmern^ glänzt ihr Licht in die Nacht hinüber gleich dem Feuer
von Signalen.
Wie Lichtoasen ruhen in der stählernen Hut die geschwungenen Hallen
Und warten. Und dann sind sie mit einem Mal von Abenteuer überfallen.
Und alle erzne Kraft ist in ihren riesigen Leib verstaut,
Und der wilde Atem der Maschine, die wie ein Tier auf der Flucht stille
steht und um sich schaut.
Und es ist, als ob sich das Schicksal vieler hundert Menschen in ihr er«
sittemdes Bett ergossen hätte.
Und die Luft ist kriegerisch erfüllt von den Balladen südlicher Meere und
grüner Küsten und der großen Städte.
Und dann zieht das Wunder weiter. Und schon ist wieder Stille und Licht
wie ein Sternhimmel aufgegangen.
Aber noch lange halten die aufgeschreckten Wände, wie Muscheln Meer-
getön, die verklingende Musik eines wilden Abenteuers gefangen.
A
V 1.'
53
f ■
Die Jünglinge und das Mädchen
Was Tinsem Träumen Schönheit hieß> ward Leib in dir
Und holde Schwingung sanft gezogner Glieder
Im Schreiten, anders nicht als wie in einem Tier.
Doch imsre Sehnsucht sinkt zu deinen Füßen nieder,
Erhöhung stammelnd wie vor dem Altar,
Und daß dein Blick Erfüllung ihr befehle.
Was blind in deinem Körper Trieb und Odem war.
Das wurde staunend unserm Suchen Sinn und Seele.
Du ahnst nicht dieser Stunden Glück und Qual,
Da wir dein Bild in unsern Traum versenken —
Doch du bist Leben. Wir sind Schatten. Deiner Schönheit Strahl
Muß, daß wir atmen, funkelnd erst ims tränken.
54
Heimkehr
(Brüssel, Gare du Nord)
Die Letzten^ die am Weg die Lust verschmäht; entleert aus allen
Gassen der Stadt In Not und Frost gepaart Da die Laternen schon in
schmutzigem Licht verdämmern.
Geht stumm ihr Zug zum Norden, wo aus lichtdurchsungnen Hallen
Die Schienenstränge Welt und Schicksal üher Winkelqueren hämmern.
Tag läßt die scharfen Morgenwinde los. Auffrösielnd raffen
Sie ihre Röcke enger. Regen fällt in Fäden. Kaltes graues Licht
Entblößt den Trug der Nacht. Geschminkte Wangen klaffen
Wie giftige Wunden über eingesunknem Gesicht
Kein Wort Die Masken brechen. Lust und Gier sind tot Nun schleppen
Sie ihren Leib wie eine ekle Last in arme Schenken
Und kauern regungslos im Kaffeedunst, der über Kellertreppen
Aufsteigt — wie Geister, die das Taglicht angefallen — auf den Bänken.
55
Der junge Mönch
Vermaßt ihr euch zu lieben, die ihr sündhaft nur begehrt,
Mit Tat und Willen trüb die Reine eurer Träume schändet?
lernet tiefre Wollust: wartend stehn und unbewehrt.
Bis heilige Fracht die Welle euem Ufern landet
Ihr glüht und ringt Ich fühle euer Herz von Sturm und Gier bewegt
Euch girren tausend Stinunen hell ins Ohr, die euer Blut verführen —
Ich bin ein Halm, den meines Gottes Odem regt.
Ich bin ein Saitenspiel, das meines Gottes Finger rühren.
Ich bin ein durstig aufgerissen Ackerland.
In meiner nackten Scholle kreist die Frucht Der Regen
Geht drüber hin, Schauer des Frühlings, Sturm und Sonnenbrand,
Und unaufhaltsam reift ihr Schoß dem Licht entgegen.
66
. - ..JMIl
Die Schwangern
Wir sind aus uns verjagt Wir hocken verftngstet vor dem gierigen Leben,
Das sich in unserem Leibo räkelt, an uns klopft und zerrt
Schreie lösen sich aus uns, die wir nicht kennen. Wir sind vor uns selbst
versperrt
Wir sind umhergetrieben. Wer wird uns unserm Ursprung wiedergeben?
Alles hat anderen Sinn. Wir nähren fremdes, wenn wir Speise schlucken.
Wir schwanken vor fremder Müdigkeit und spüren fremde Lust in una
singen.
Sind wir nur noch Land, Erdkrume und Gehäus? Wird dieser Leib zer-«
springen?
Wir fühlen Scham und möchten uns wie Tiere ins Gestrüpp niederducken.
67
Simplicius wird Einsiedler im Schwarzwald
und schreibt seine Lebensgeschichte
Das Wetter mancher Sohlacht hat um unsre Nasen gepfiffen.
Wir haben die Säbel zum Stoß für manchen Feindesnacken geschliffen
Und unser Blut aufkochen hören, wenn Hieb und Kugelmusik uns um-
sausten.
Dann waren Nächte, die wir friedsamer durchbrausten.
Im Feldlager, wenn die Becher überliefen, Kessel schmorten und die
Würfel rollten —
Das waren Stunden, die wir für alle Seligkeit Mariae nicht tauschen
wollten.
Der Rauch von Höfen und Dörfern hat in unsem Augen gehangen.
Um manchen Galgen sind wir behutsam herumgegangen.
Oft hat uns der Tod schon an der Gurgel gesessen.
Dann haben wir uns geschüttelt, unsem Schimmel vorgezogen und sind
aufgesessen.
Wir sind in allen Ländern herumgefahren, blutige Kesseltreiber,
Frankreich lehrte uns die Wollust feiner Betten und das weiße Fleisch der
Weiber —
Aber inmier mußte Leben überschäumen, um sich zu fühlen.
Und keine Schlacht und keine Umarmung wollte den Brand in unserm
Leibe kühlen.
Nun rinnt das Blut gemacher in den Adern innen.
Mein Herz läuft durch die alten Bilder nur, um sich zur Einkehr zu
besinnen.
58
Vor meinem Fenster die grünen Schwarz waldtannen rauschen, als wollten
sie von neuen Fahrten sprechen.
Die Holzplanken meiner Hütte krachen in den Novemberstürmen und
drohen in Stücke zu brechen —
Aber ich sitze in Frieden, unbewegt, so wie in £ngelsrüstung eingeschlossen.
Nicht Reue und nicht Sehnsucht sollen mir schmälern, was einst war
und nun vorbei ist und verflossen.
Um mich her, auf dem Tisch, sind meine lieben Bücher aufgebaut,
Und mein Herz voll ruhiger Freude in den klaren Himmel hinüberschaut
Früher hab ich meinem Gott gedient mit Hieb und Narben so wie heutfe
mit Gebeten,
Ich brauche nicht, zu zittern, wenn er einst mich ruft, vor seinen Stuhl
/ zu treten.
69
Der Morgen
Dein morgentief es Auge ist in mir, Marie.
Ich fühle, wie es durch die Dämmerung mich umfängt
Der weiten Kirche. Stille will ich knien und warten, wie
Dein Tag aus den erblühten Heiligenfenstem zu mir drängt
Wie kommt er sanft und gut und wie mit väterlicher Hand
Umschwichtigend. Wann war's, daß er mit grellen Fratzen mich genarrt,
Auf Vorstadtgassen, wenn mein Hunger nirgends sich ein Obdach fand —
Oder in grauen Stuben mich aus fremden Blicken angestarrt?
Nun strömt er warm wie Sonunerregen über mein Gresicht
Und wie dein Atem voller Rosenduft, Marie,
Und meiner Seele dumpf verwirrt Getön hebt sanft sein Licht
In deines Lebens morgenreine Melodie.
1
60
f
(
I
Irrenhaus
(L« Fort Jaco, Uccle).
Hier ist Leben, das nichts mehr von sich weiß —
Bewußtsein tausend Klafter tief ins All gesunken.
Hier tönt durch kahle Säle der Choral des Nichts.
Hier ist Beschwichtigung, Zuflucht, Heimkehr, Kinderstube.
Hier droht nichts Menschliches. Die stieren Augen,
Die verstört und aufgeschreckt im Leeren hangen.
Zittern nur vor Schrecken, denen sie entronnen.
Doch manchen klebt noch Irdisches an imvollkonun'nen Leibern.
Sie wollen Tag nicht lassen, der entschwindet
Sie werfen sich in Krämpfen, schreien gellend in den Bädern
Und hocken wimmernd und geschlagen in den EIcken.
Vielen aber ist Himmel aufgetan.
Sie hören die toten Stinunen aller Dinge sie umkreisen
Und die schwebende Musik des Alls.
Sie reden manchmal fremde Worte, die man nicht versteht
Sie lächeln still und freundlich so wie Kinder tun.
In den entrückten Augen, die nichts Körperliches halten, weilt das Glück.
^ '
61
Puppen
Sie stehn im Schein der Kerzen, geisterhafte Paare, spöttisch und kokett
in den Vitrinen
Wie einst beim Menuett. Der Schönen Hände schürzen wie zum Spiel
die Krinolinen
Und lassen weich gewölbte Knöchel über Seidenschuhe blühn. Die Kavaliere
reichen
Galant den degenfreien Arm zum Schritt, und ihre feinen frechen Worte,
scheint es, streichen
Wie hell gekreuzte Klingen durch die Luft, bis sie in kühlem Lächeln
über ihrem Mund erstarren,
Lddes die Schönen in den wohlerwognen Attitüden sanft und träumerisch
verharren.
So stehn sie, abgesperrt von greller Luft, in den verschwiegnen Schränken,
Hochmütig, kühl und fern und scheinen langvergeßnen Abenteuern nach-
zudenken.
Nur wenn die Kerzen trüber flackern, hebt ihr dünnes Blut sich seltsant
an zu wirren:
Dann fallen Funken in ihr Auge. Heiße Worte scheinen in der Luft zu
schwirren. '
Der Schönen Leib erbebt Im zarten Puder der geschminkten Wangen gleißt
Ihr Mund wie eine tolle Frucht, die Lust und Untergang verheißt.
62
Anrede
Ich bin nur Flamme, Durst und Schrei und Brand.
Durch meiner Seele enge Mulden schießt die Zeit
Wie dunkles Wasser, heftig, rasch und unerkannt
Auf meinem Leibe brennt das Mal: Vergänglichkeit
Du aber bist der Spiegel, über dessen Rund
Die großen Bäche alles Lebens geh'n.
Und hinter dessen quellend gold'nem Grund
Die toten Dinge schimmernd auferstehen.
Mein Bestes glüht und lischt — ein irrer Stern,
Der in den Abgrund blauer Sommernächte fällt —
Doch deiner Tage Bild ist hoch und fem.
Ewiges Zeichen, schützend um dein Schicksal hergestellt
63
Fahrt über die Kölner Rheinbrücke beiNacht
Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang.
Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger, nachtumschienter
Minengang,
Darein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes j&he Horizonte reißen:
Feuer kreis
Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend . . . nur
sekundenweis . . .
Und wieder alles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur
Schicht
Nun taumeln Lichter her . . . verirrt, trostlos vereinsamt . . . mehr . . . und
sammeln sich . . . imd werden dicht.
Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß, im Zwielicht bleichend, tot —
etwas muß kommen ... o, ich fühl es schwer
Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut Dann dröhnt der Boden plötz-
lich wie ein Meer :
Wir fliegen, aufgehoben, königlich durch nachtentrissene Luft, hoch übern
Strom. Biegung der Millionen Lichter, stumme Wacht,
Vor deren blitzender Parade schwer die Wasser abwärts rollen. Endloses
Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht I
Wie Fackeln stürmend I Freudiges 1 Salut von Schiffen über blauer Seel
Bestirntes FestI
Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt I Bis wo die Stadt mit letzten
Häusern ihren Gast entläßt
Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht. Besinnung.
Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang
^^^ Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest Zur Wollust Zum Crebet
Zum Meer. Zum Untergang.
64
\y
Abendschluß
Die Uhren schlagen sieben. Nun gehen überaU in der Stadt die Geschäfte aus.
Aus schon umdunkelten Hausfluren, durch enge Winkelhöfe aus protzigen
Hallen drängen sich die Verkäuferinnen heraus.
Noch ein wenig blind und wie betäubt vom langen Eingeschlossensein
Treten sie. leise erregt, in die wollüstige Helle und die sanfte Offenheit
des Sommerabends ein.
Griesgrämige Straßenzüge leuchten auf und schlagen mit einem Male
helleren Takt,
Alle Trottoirs sind eng mit bunten Blusen und Mädchengelächter voll-
gepackt
Wie ein See, durch den das starke Treiben eines jungen Flusses wühlt,
Ist die ganze Stadt von Jugend und Heimkehr überspült
Zwischen die gleichgiltigen Gesichter der Vorübergehenden ist ein viel^*
fältiges Schicksal gestellt —
Die Erregung jungen Lebens, vom Feuer dieser Abendstunde überhellt.
In deren Süße alles Dunkle sich verklärt und alles Schwere schmilzt, als
war es leicht und frei.
Und als warte nicht schon, durch wenig Stunden getrennt, das triste Einerlei
Der täglichen Frohn — als warte nicht Heimkehr, Gewinkel schmutziger
Vorstadthäuser, zwischen nackte Mietskasernen gekeilt.
Karges Mahl, Beklommenheit der Familienstube und die enge Nacht-
kammer, mit den kleinen Geschwistern geteilt.
Und kurzer Schlaf, den schon die erste Frühe aus dem Goldland der
Träume hetzt —
All das ist jetzt ganz weit — von Abend zugedeckt — und doch schon da,
6 Stadler, Aufbruch 65
i/.'
und wartend wie ein böses Tier, das sich zur Beute niedersetst,
r
Und selbst die Glücklichsten, die leicht mit schlankem Schritt
Am Arm des Liebsten tänzeln, tragen in der Einsamkeit der Augen einen
fernen Schatten mit
Und manchmal, wenn von ungefähr der Blick der Mädchen im Gespräch
zu Boden fällt.
Geschieht es, daß ein Schreckgesicht mit höhnischer Grimasse ihrer Froh«
lichkeit den Weg verstellt
Dann schmiegen sie sich enger, und die Hand erzittert, die den Arm dea
Freundes greift.
Als stände schon das Alter hinter Ihnen, das ihr Leben dem
!_ Verlöschen in der Dunkelheit entgegenschleift.
66
Judenviertel in London
Dicht an den Glanz der Plätze fressen sich iind wühlen
Die Winkelgassen, wüst in sich verbissen.
Wie Narben klaffend in das nackte Fleisch der Häuser eingerissen
Und angefüllt mit Kehricht, den die schmutzigen Gossen überspülen.
Die vollgestopften Läden drängen sich ins Freie.
Auf langen Tischen staut sich Plunder wirr zusammen:
Kattun und Kleider, Fische, Früchte, Fleisch, in ekler Reihe
Yerstapelt und bespritzt mit gelben Naphtaflanunen.
Gestank von faulem Fleisch und Fischen klebt an Wänden.
Süßlicher Brodem tränkt die Luft, die leise nachtet
Ein altes Weib scharrt Abfall ein mit gierigen Händen,
Ein blinder Bettler plärrt ein Lied, das keiner achtet
Man sitzt vor Türen, drückt sich um die Karren.
Zerlumpte Kinder kreischen über dürftigem Spiele.
Ein Grammophon quäkt auf, zerbrochne Weiberstimmen knarren.
Und fem erdröhnt die Stadt im Donner dr3r Automobile.
67
Kinder vor einem
Londoner Armenspeisehaus
Ich sah Kinder in langem Zug, paarweis geordnet, vor einem Armen-«
speisehaus stehen.
Sie warteten, wortkarg xmd müde, bis die Reihe an sie käme, zur Abende
%
mahlzeit zu gehen.
Sie waren verdreckt xmd zerlumpt und drückten sich an die Häuserwftnde.
Kleine Mädchen preßten um blasse Säuglinge die versagenden Hände.
Sie standen hungrig und verschüchtert zwischen den aufgehenden Lichtem,
Manche trugen dunkle Maler auf den schmächtigen Gesichtern.
Ihr Anzug roch nach Keller, lichtscheuen Stuben, Schelten und Darben,
Ihre Körper trugen von Entbehrung und früher Arbeitsfrohn die Narben.
Sie warteten: gleich wären die andern fertig, dann würde man sie in den
großen Saal treten lassen,
Ihnen Brot und Gemüse vorsetzen und die Abendsuppe in den blechernen
Tassen.
Oh, und dann würde Müdigkeit kommen und ihre verkrümmten Glieder
aufschnüren
v/v Und Nacht und guter Schlaf sie zu Schaukelpferden und Zinnsoldaten und
in wundersame Puppenstuben führen.
68
Meer
Idi mußte gleich mm Strand. In meinem Blute scholl
Schon Meer. schon den ganzen Tag. Und jetzt die Fahrt im gelbum-
witterten Vorfrühlingsabend. Rastlos schwoll
Es auf und reckte sich in einer jähen frevelhaften Süße, wie im Spiel
Sich Geigen nach den süßen Himmelswiesen recken. Dunkel lag der Kai.
Nachtwinde wehten. Regen fiel . . .
Die Böschung abwärts . . . durch den Sand ... zu dir, du Flut und Wollust
schwemmende Musik,
Du treibend Glück, du Orgellied, bräutlicher Chorl Zu meinen Füßen
Knirschen die Muscheln . . . weicher Sand . . . wie Seidenmatten weich . . .
ich will dich grüßen.
Du lang Entbehrtest der Salzgeschmack, wenn ich die Hände, die der
Schaum bespritzte, an die Lipp^i hebe . . .
Viel Dunkles fällt Es springen Riegel. Bilder steigen. Um mich wird es
rein. Ich schwebe
Durch Felder tiefer Bläue. Viele Tag' und Nächte bauen
Sich vor mich hin wie Träume. Fem Verschollenes. Fahrten übers Meer,
durch Stemennächte. Durch die Nebel. Morgengrauen
Bei Dover . . . blaues Geisterlicht um Burg und Shakespeare's-Cliff, die
sich der Nacht entraffen.
Und blaß gekerbte Kreidefelsen, die wie Kiefern eines toten Ungeheuers
klaffen.
Sternhelle Nadit weit draußen auf der Landungsbrücke, wo die Wellen
Wie vom Herzfeuer ihrer Sehnsucht angezündet, Funken schleudernd, an
den braunen Bohlen sich zerschellen.
69
V"-
V'
Und blauer Sommer: Sand mid Kinder. Bmite Wimpel. Sonne überm
Meer, das blüht mid grünt wie eine Frühlingsau.
Und Wanderungen, fem an Englands Strand, mit der geliebten Frau.
Und Mitternacht im Hafen von Southampton: schwer yerhängte Nacht,
darin wie Blut das Feuer der Kamine loht.
Und auf dem Schiff der Vater . . . langsam bricht es in das Schwan,
nach Frankreich zu'. . . und wenig Monde später war er tot . . .
Und immer diese endlos hingestreckten Horizonte. Immer dies Getdn:
frohlockender und kämpfender Choral —
"^ Du jedem Traum verschwistertl Du in jeder Lust und jeder Qual i
Du Tröstendes! Du Sehnsucht Zeugendes I In dir verklärt
Sich jeder Wunsch, der in die Hinmiel meiner Schicksalsfemen fährt,
Und jedes Herzensheimweh nach der Frau, die jetzt im hingewühlten
Bette liegt
Und leidet, und zu der mein Blut wie eine Möwe, heftige Flügel schlagend,
fliegt.
' Du Hingesenktes, Schlummertief es i Horch, dein Atem sänftigt meines
Herzens Schlag! l
r-
Du Sturm, du Schrei, aufreißend Homsignal zum Kampf, du trägst auf
weißen Rossen mich zu Tat und Tag!
Du Rastendes! Du feierlich Bewegtes, Nacktes, Ewiges! Du hältst die Hut;
v" Ober meii: Leben, das im Schachte d'^ines Mutterschoßes eingebettet ruht
70
DIE RAST
Hier ist Einkehr
^ t
Hier ist Einkehr. Hier ist Stille, den Tagen und Nächten zu lauschen, die
aufstehen und versinken.
Hier beginnen die Hügel. Hier hebt sich, tiefer landwärts, Gebirge, Kiefern»
Wälder und durchrauschte Täler.
Hier gießt sich Wiesengrund ins Freie. Bäche spiegeln gesänftigt reine
Wolken.
Hier ist Ebene, breitschultrig, heftig blühend, Äcker, streifenweis geordnet.
Braunschollig, grün, goldgelb von Korn, das in der Julisonne reift
Tag kommt mit aufgefrischtem Himmel, blitzend in den Halmen; Morgen
mit den harten, kühlen Farben,
Die betäubt in einen brennendgelben Mittag sinken — grenzenlose Juli^
sonne über allen Feldern,
In alle Krumen sickernd, schwer ins Mark versenkt, bewegungslos.
In langen Stunden weilend, nur von Schatten überwölbt, die langsam
weiter laufen.
Sich strecken und entzündet in das violette Farbenspiel des Abends wachsen.
Das nicht mehr enden will. Schon ist es Nacht, doch trägt die Luft
Mit Dämmerung vollgesogen noch den lichten Schein,
Der tiefer blühend auf der Schwingung der gewellten Hügelränder läuft —
Schon reicht unmerklich Frühe an die Nacht der weißen Sterne.
Bald weht aus Büschen wieder aufgewirbelt junges Licht
Und viele Tag und Nächte werden in der Bläue auf- und niedersteigen.
Eintönig, tief gesättigt, wunschlos in der großen Sommerseligkeit —
Sie tragen auf den schweren sonngebräunten Schultern Sänftigtmg und
Glück.
73
Fluß im Abend
w' v;
Der Abend läuft den lauen Fluß hinunter,
Gewittersonne äbersprengt die Ufersenkung bunter.
Es hat geregnet Alle Blätter dampfen Feuchte.
Die Weidenwildnis streckt mit hellen Tümpeln sich ins witternde Geleuchte.
Weiße Nebel sich ins Abendglänzen schwingen«
Unterm seichten Fließen dumpf und schrill die mitgezognen Kiesel klingen.
Die Pappeln stehn im Licht, traumgroße Kerzen dick mit gelbem Honigs
seim beträuf t —
Mir ist, als ob mein tieätes Glück durch grüne Ufer in den brennendeik
Gewitterabend läuft
74
Schwerer Abend
Die Toro aller Himmel stehen hoch dem Dmikel offen,
Das lautlos einströmt, wie in bodenlosen Trichter
Land niederreißend. Schatten treten dichter
Aus lockren Poren nachtgefQllter Schollen.
Die Pappeln, die noch kaum von Sonne troffen.
Sind stumpf wie schwarze Kreuzesstänmie übers Land geschlagen.
Die Äcker wachsen grau und drohend — Ebenen trüber Schlacke.
Nacht wirbelt aus den Wolkengruben, über die die Stöße rollen
Schon kühler Winde, und im dänmirigen Gezacke
Hellgrüner Weidenbüschel, drin es rastend sich und röchelnd eingeschlagen.
Verglast das letzte Licht.
76
Kleine Stadt
Die vielen kleinen Gassen, die die langgestreckte Hauptstraße überqueren.
Laufen alle ins Grüne. Überall fängt Land an.
Cberall strömt Himmel ein und Geruch von B&umen und der starke Duft
der Äcker.
Überall erlischt die Stadt in einer feuchten Herrlichkeit von Wiesen,
Und durch den grauen Ausschnitt niedrer Dächer schwankt
Gebirge» über das die Reben klettern, die mit hellen Stützen in die Sonne
leuchten.
Darüber aber schließt sich Kiefernwald: der stößt
Wie eine breite dunkle Mauer an die rote Fröhlichkeit der Sandsteinkirche.
Am Abend, wenn die Fabriken schließen, ist die große Straße mit Menschen
gefüllt
Sie gehen langsam oder bleiben mitten auf der Gasse stehn.
Sie sind geschwärzt von Arbeit und Maschinenruß. Aber ihre Augen tragen
Noch Scholle, zähe Kraft des Bodens und das feierliche Licht der Felder.
76
Die Rosen im Garten
Die Roser. im Garten blühn zum zweiten Mal. Täglich schießen sie in dicken
Bündeln
In die Sonne. Abe«: die schwelgerische Zartheit ist dahin.
Mit der ihr erstes Blühen sich im Hof des weiß und roten Sternenfeuers
wiegte.
Sie springen gieriger, wie aus aufgerissenen Adern strömend,
Ober das heftig aufgeschwellte Fleisch der Blätter«
Ihr wildes Blühen ist wie Todesröcheln,
Das der vergehende Sommer in das ungewisse Licht des Herbstes trägt*
77
Weinlese
Die Stöcke hängen voUgepackt mit Frucht Geruch von Reben '
Ist aber Hügelwege ausgeschüttet Bütten stauen sich auf Wagen.
Man sieht die Erntenden, wie sie, die Tücher vor der braunen Spätjahrsonne
übern Kopf geschlagen,
Sich niederbücken und die Körbe an die strotzendgoldnen Euter heben.
Das Städtchen unten ist geschäftig. Scharen reihenweis gestellter,
Beteerter Fässer harren schon, die neue Last zu fassen.
Bald klingt Gestampfe festlich über alle Gassen,
Bald trieft und schwillt von gelbem Safte jede Kelter.
78
Herrad
f'7
Welt reichte nur vom kleinen Garten, drin die Dahlien blühten, bis zur
ZeUe
Und durch die Gänge nach dem Hof und früh und abends zur Kapelle.
Aber unter mir war Ebene, ins Grün versenkt, mit vielen Kirchen und
weiß blühenden Obstbäumen,
Hingedrängten Dörfern, weit ins Land gerückt, bis übern Rhein, wo wieder
blaue Berge sie umsäumen.
An ganz stillen Nachmittagen meinte man die Stimmen von den Straßen
heraufwehen zu hören, und abends kam Geläute,
Das hoch den blau ziehenden Rauch der Kamine überflog und mich in
meinem Nachsinnen erfreute.
Wenn dann die Nacht herabsank und über meinem Fenster die Sterne
erglommen.
War eine fremde Welt aus Büchern auf mich hergesenkt und hat mich
hingenommen.
Ich las von Torheit dieser Welt, Bedrängnis, Spaßen, Trug und Leiden,
Fromme Heiligengeschichten, grausenvoll und lieblich, und die alte Weis-
heit der Heiden.
Sinnen und Suchen vieler Menschenseelen war vor meine Augen hingestellt.
Und Wunder der Schöpfung und Leben, das ich liebte, und die Herrlich-
keit der Welt
Und ich beschloß, all das Krause, das ich seit so viel Jahren
Aus Büchern und Wald und Menschenherzen und einsamen Stunden er^
fahren.
79
Alles Gute, das ich in diesem Erdenleben empfangen.
Treu und künstlich. in Bild und Schrift zu bewahren und einzufangen.
Später, wenn die Augen schwächer würden, in den alten Tagen,
Würd ich in meiner Zelle sitzen und übers Elsaß hinblicken und mein
Buch aufschlagen.
Und meiner Sede sprängen wie am Heiligenquell im Wald den Blind^i
Wunderbronnen,
Und still ergieng ich mich und lächelnd in dem Garten meiner Wonnen.
80
Gratia divinae pietatis adesto Savinae
De petra dura per quam sum facta figura
(Alte Inschrift am Straßburger Münster).
Zuletxt, da, alles Werk rerrichtet, meinen Gott zu loben,
Hat meine Hand die beiden Frauenbilder aus dem Stein gehob^ri.
Die eine aufgerichtet, frei und unerschrocken —
Ihr Blick ist Sieg, ihr Schreiten glänzt Frohlocken.
Zu zeigen, wie sie freudig über allem Erdenmühsal throne.
Gab ich ihr Kelch und Kreuzesfahne und die Krone.
Aber meine Seele, Schönheit femer Kindertage und mein tief rerstecktes '
Leben
Hab ich der Besiegten, der Verstoßenen gegeben.
Und was ich in mir trug an Stille, sanfter Trauer und demütigem Verlangen,
Hab ich sehnsüchtig über ihren Kinderleib gehangen:
Die schlanken Hüften ausgd}uchtet, die der lockre Gürtel hält.
Die Hügel ihrer Brüste zärtlich aus dem Linnen ausgewellt,
Ließ ihre Haare über Schultern hin wie einen blonden Regen fließen,
Liebkoste ihre Hände, die das alte Buch und den zerknickten Schaft um-
schließen.
Gab ihren schlaffen Armen die gebeugte Schwermut gelber Weizenfelder,
.die in Julisonne schwellen.
Dem Wandeln ihrer Füße die Musik von Orgeln, die an Sonntagen aus
Kirchentüren quellen.
Die süßen Augen mußten eine Binde tragen,
Daß rührender durch dünne Seide wehe ihrer Wimpern Schlagen.
Und Lieblichkeit der Glieder, die ihr weiches Hemd erfüllt,
Hab ich mit Demut ganz und gar umhüllt.
Daß wunderbar in Gottes Brudemähe
Von Niedrigkeit umglänzt ihr reines Bildnis stehe.
6 Stadler, Aufbruch 81
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^
Inhalt
DIE FLUCHT
Seite
Worte 11
Der Spruch 12
Tage I 13
n U
m . .' 15
IV 16
Gegen Morgen 17
Metamorphosen 18
Betömng 20
Trübe Stunde 21
Was waren Frauen 22
Reinigung 23
Ende 24
Zwiegespräch 25
Vorfrühling 27
Kesurrectio 28
Sommer * 29
Form ist Wollust 30
Der Aufbruch 31
STATIONEN
Loyer*s Seat 35
Fülle des Lebens 36
Femen , 37
Entsühnnng 38
In Dir 40
Gang in der Nacht 41
Winteranfang 42
In der Frühe 43
Kleine^ Schauspielerin 44
Glück 45
In diesen Nächten 46
DIE SPIEGEL
Seite
Der Flüchtling 49
Segnung 60
Parzival Tor der Gralsburg 51
Die Befreiung 52
Bahnhöfe 53
Die Jünglinge und das Mädchen ' . 54
Heimkehr 55
Der junge Mönch 56
Die Schwängern 57
Simplicius wird Einsiedler im Schwarzwald 58
Der Morgen 60
Irrenhaus 61
Puppen 62
Anrede 63
Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht 64
Abendschluß 65
Judenviertel in London 67
Kinder vor einem Loridoner Armenspeisehaus 68
Meer 69
DIE RAST
Hier ist Einkehr 73
Fluß im Abend 74
Schwerer Abend 75
Kleine Stadt 76
Die Rosen im Garten 77
Weinlese 78
Herrad 79
Gratia divinae pietatis adesto SaTinae 81
GEDRÜCKT BEI
POESCHEL & TREPTE
IN LEIPZIG
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